Perspektive (FS02-04)
Verfasst: 27.12.2011, 14:59
Perspektive
Der Unterschied zwischen Standard-, Weitwinkel- und Teleobjektiven liegt nicht nur darin, dass sie aus gleichem Abstand mehr oder weniger Umwelt ins Bild bringen, sondern dass die Weitwinkelbilder „tiefer“ und die Telebilder „gedrängter“ wirken. Diese Effekte werden mit immer kürzeren bzw. immer längeren Brennweiten immer stärker und sie werden oft als „Weitwinkelperspektive“ bzw. „Teleperspektive“ bezeichnet. Die gibt es zwar einerseits definitiv nicht, andererseits aber irgendwie doch. Wie das?
Dass wir räumlich sehen können, liegt daran, dass wir mit zwei Augen ausgestattet sind, von denen das eine die Umwelt ein wenig mehr von links und das andere ein wenig mehr von rechts sieht. Im Gehirn wird aus diesen zwei Teilbildern ein räumliches Bild.
Aber auch wenn wir ein Auge schließen, sind nicht alle Objekte plötzlich auf einer Ebene zusammengefasst. Wir erkennen trotzdem, dass manche Dinge näher als andere liegen und wie sie zueinander angeordnet sind - manche überschneiden sich, zwischen anderen ist ein Abstand. Von zwei Gegenständen sehen wir den näher liegenden größer, als den weiter weg liegenden. Bei gleich großen Gegenständen halbiert sich die Größe, wenn sich der Abstand verdoppelt. Parallele Linien, die sich von uns weg erstrecken, laufen in der Ferne aufeinander zu (und auch Linien, die nicht wirklich parallel sind, scheinen sich in der Ferne näher zu kommen). Diese „Zentralperspektive“ nutzen Maler seit der Renaissance aus, um Räumlichkeit auf der planen Leinwand darzustellen. Auch in der Fotografie ist sie der Schlüssel zur räumlichen Wirkung räumlicher Motive auf dem planen Fotopapier oder Bildschirm.
Die Perspektive hängt nicht von der Brennweite ab, sondern nur vom Standort des Fotografen, besser gesagt: von der Lage der Bildebene. Als einfaches Beispiel sollen eine Laterne und ein Kamin mit einer Leiter dienen.
Wenn man einen Standort sucht, von dem aus die Laterne einen Holm der Leiter verdeckt und dann Bilder mit verschiedenen Brennweiten macht, wird die Laterne den Holm auf allen Bildern verdecken, und andere Bildteile werden immer in der gleichen Konstellation zueinander stehen. Vergrößert man aus einem Weitwinkelbild den passenden Ausschnitt auf die Größe einer der Teleaufnahmen, ist die Anordnung der Motivteile zueinander in beiden Bildern gleich. Tritt man einen oder zwei Schritte zur Seite, sind nun Laterne und Leiter getrennt und man kann zwischen beiden durch sehen, im Weitwinkel- und im Telebild! Die Verlagerung der Bildebene, die Änderung des Standortes hat eine andere Perspektive eröffnet.
Tiefer übersteigern oder raffen?
Da die Perspektive vom Standort und nicht von der Brennweite abhängig ist, kann es keine Weitwinkelperspektive geben! Aber es gibt etwas Ähnliches - nennen wir es einfach „Weitwinkelsehweise“. Nehmen wir als Beispiel einen Gartenzaun mit dicken Pfosten alle drei Meter. Nimmt man ein Bild im spitzen Winkel aus drei Meter Entfernung zum ersten Pfosten auf, ist der zweite sechs Meter entfernt, also doppelt so weit, und er kommt halb so groß ins Bild, wie der erste. Geht man nun auf einen Meter fünfzig an den ersten Pfosten heran, bringt die gleiche Brennweite ihn größer ins Bild, als bei der ersten Aufnahme. Man ist ja näher dran. Gleichzeitig ist aber der zweite Pfosten 4,5 m weit von der Sensorebene entfernt, dreimal weiter als der vordere Pfosten, und er wird nur noch ein Drittel so groß abgebildet. Er wirkt weiter weg und das sorgt für eine größere Tiefenwirkung als beim ersten Bild.
Das gilt zwar für alle Brennweiten, aber gerade mit Weitwinkelobjektiven kann man sehr nah an ein Objekt herangehen und es trotz der geringen Entfernung ganz erfassen. Es kommt dann im Vordergrund sehr groß ins Bild, Objekte im Hintergrund wirken sehr klein und die Tiefenwirkung ist sehr ausgeprägt. Genau das wird oft - nicht korrekt aber anschaulich - als steile „Weitwinkelperspektive“ bezeichnet.
Während kurze Brennweiten also für „Tiefe“ in den Bildern sorgen, haben lange Brennweiten eine raffende Wirkung. Das hat schon wieder nichts mit der Perspektive zu tun (die ist auch bei Teleaufnahmen nur vom Standort abhängig), sondern mit der bereits angesprochenen Tatsache, dass von zwei gleich großen Objekten jenes nur halb so groß erscheint, das doppelt so weit weg ist. Nehmen wir als Beispiel wieder unseren Gartenzaun mit den dicken Pfosten im Drei-Meter-Takt. Macht man die Aufnahme nicht aus drei, sondern aus 12 Meter Abstand, ist der erste Pfosten 12 und der zweite 15 Meter entfernt, also nicht doppelt so weit, sondern nur 1,25x so weit wie der erste. Entsprechend wird er nicht halb so groß, sondern 2/5 so groß abgebildet - er wirkt näher. Auch das gilt wieder für alle Brennweiten. Aber mit einer langen Brennweite kann man ein Objekt aus großer Entfernung formatfüllend abbilden, weiter entfernt liegende Motivteile rücken im Bild näher heran - und das wird dann „Teleperspektive“ genannt.
Noch mehr "Perspektive"
Noch andere „Perspektiven“ spielen in der Fotografie immer wieder einer Rolle. Da sind zunächst einmal zwei, die diesen Namen tatsächlich verdienen. Es handelt sich um die Vogelperspektive und die Froschperspektive. Schon die Namen zeigen, worum es geht - um Aufnahmen nämlich, die man von einem tiefen oder sehr hohen Standort aus nach oben bzw. nach unten macht. In beiden Fällen kann es von großem Nutzen sein, wenn der Rückwand-Monitor der Kamera als Sucher genutzt werden kann („Live View“), noch mehr, wenn der Monitor sich schwenken und/oder drehen lässt. Die Froschperspektive (gegebenenfalls kombiniert mit der „Weitwinkelperspektive“) kann bei Personenaufnahmen zu sehenswerten Effekten führen. Die Vogelperspektive zwingt nicht unbedingt dazu, aus den oberen Stockwerken eines Hauses zu fotografieren. Der beherzte Sprung auf eine Mauer oder ein paar Schritte eine Böschung hinauf können eine Aufnahme schon eindrucksvoller wirken lassen.
Keine echte Perspektive ist die so genannte „Luftperspektive“. Von ihr spricht man, wenn Landschaftsteile
in großer Entfernung im Dunst verschwimmen und vielleicht sogar das „Verblauen“ einsetzt. Die Luft zwischen Kamera und fernem Motiv sorgt dafür, dass rote Lichtanteile weggefiltert werden und blaue Lichtanteile überwiegen. Aufnahmen im Gebirge zeigen oft eindrucksvoll, wie dieser Effekt mit immer größer werdenden Entfernungen immer stärker wirkt.
Im Zusammenhang mit Brennweiten und Perspektiven müssen auch die „stürzenden Linien“ zu ihrem Recht kommen. Meist spricht man im Zusammenhang mit Architekturbildern von ihnen, aber sie kommen auch in unserem Zaunbeispiel vor. Ist der Zaun ordentlich zusammen genagelt, bilden die oberen und die unteren Enden der Latten zwei
Geraden, die parallel verlaufen. Schaut man nicht im rechten Winkel, sondern seitlich auf den Zaun, scheinen sich die parallelen Geraden einander zu nähern, je weiter die Latten weg sind - „in echt“ und auch im Bild. Das gleiche Bild ergibt sich z. B., wenn man eine Straße entlang schaut. In der Ferne kommen sich die Straßenränder immer näher. Und das passiert auch, wenn man ein Gebäude von unten aufnimmt. Die seitlichen Kanten laufen im Bild in der Ferne (also nach oben hin) aufeinander zu, das Gebäude scheint schmaler zu werden. Das sind die stürzenden Linien.
Wenn man ein Gebäude aus einem geringen Abstand möglichst formatfüllend fotografieren möchte, nutzt man natürlich ein Weitwinkelobjektiv, das man steil nach oben richtet, um viel Gebäude und wenig Vordergrund ins Bild zu bekommen. In dieser Konstellation treten stürzende Linien besonders deutlich hervor - aber sie sind keine Spezialität
von Weitwinkelbildern.
Die oben erwähnten Straßenränder laufen auch dann in der Ferne aufeinander zu, wenn man sie mit einem Tele aufnimmt. Und wenn man den oberen Teil eines Hochhauses aus der Straßenschlucht mit einer langen Brennweite ins Bild holt, sind stürzende Linien zu sehen. Sie treten natürlich auch dann auf, wenn man von der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers nach unten fotografiert. Die Fassade des gegenüberliegenden Hochhauses wird nach unten schmaler.
Der Grund für die stürzenden Linien ist immer, dass die Sensorebene und die Ebene, in der die Linien verlaufen, nicht parallel zueinander ausgerichtet sind, sondern einen Winkel bilden. Entsprechend kann man stürzende Linien bei der Aufnahme nur vermeiden, wenn man Objektebene und Sensorebene parallel hält. Das lässt sich bei Architekturaufnahmen erreichen, wenn man einen hohen Standort für die Aufnahme sucht und eine lange Brennweite einsetzt oder ein Shift-Objektiv (bzw. gleich eine verstellbare Fachkamera) nutzt.
Nach der Aufnahme hilft Entzerren gegen stürzende Linien, was im digitalen Zeitalter dank Software-Werkzeugen bequemer ist, als früher beim Vergrößern.
Liebe Grüße
Sylke
Der Unterschied zwischen Standard-, Weitwinkel- und Teleobjektiven liegt nicht nur darin, dass sie aus gleichem Abstand mehr oder weniger Umwelt ins Bild bringen, sondern dass die Weitwinkelbilder „tiefer“ und die Telebilder „gedrängter“ wirken. Diese Effekte werden mit immer kürzeren bzw. immer längeren Brennweiten immer stärker und sie werden oft als „Weitwinkelperspektive“ bzw. „Teleperspektive“ bezeichnet. Die gibt es zwar einerseits definitiv nicht, andererseits aber irgendwie doch. Wie das?
Dass wir räumlich sehen können, liegt daran, dass wir mit zwei Augen ausgestattet sind, von denen das eine die Umwelt ein wenig mehr von links und das andere ein wenig mehr von rechts sieht. Im Gehirn wird aus diesen zwei Teilbildern ein räumliches Bild.
Die Perspektive hängt nicht von der Brennweite ab, sondern nur vom Standort des Fotografen, besser gesagt: von der Lage der Bildebene. Als einfaches Beispiel sollen eine Laterne und ein Kamin mit einer Leiter dienen.
Wenn man einen Standort sucht, von dem aus die Laterne einen Holm der Leiter verdeckt und dann Bilder mit verschiedenen Brennweiten macht, wird die Laterne den Holm auf allen Bildern verdecken, und andere Bildteile werden immer in der gleichen Konstellation zueinander stehen. Vergrößert man aus einem Weitwinkelbild den passenden Ausschnitt auf die Größe einer der Teleaufnahmen, ist die Anordnung der Motivteile zueinander in beiden Bildern gleich. Tritt man einen oder zwei Schritte zur Seite, sind nun Laterne und Leiter getrennt und man kann zwischen beiden durch sehen, im Weitwinkel- und im Telebild! Die Verlagerung der Bildebene, die Änderung des Standortes hat eine andere Perspektive eröffnet.
Tiefer übersteigern oder raffen?
Da die Perspektive vom Standort und nicht von der Brennweite abhängig ist, kann es keine Weitwinkelperspektive geben! Aber es gibt etwas Ähnliches - nennen wir es einfach „Weitwinkelsehweise“. Nehmen wir als Beispiel einen Gartenzaun mit dicken Pfosten alle drei Meter. Nimmt man ein Bild im spitzen Winkel aus drei Meter Entfernung zum ersten Pfosten auf, ist der zweite sechs Meter entfernt, also doppelt so weit, und er kommt halb so groß ins Bild, wie der erste. Geht man nun auf einen Meter fünfzig an den ersten Pfosten heran, bringt die gleiche Brennweite ihn größer ins Bild, als bei der ersten Aufnahme. Man ist ja näher dran. Gleichzeitig ist aber der zweite Pfosten 4,5 m weit von der Sensorebene entfernt, dreimal weiter als der vordere Pfosten, und er wird nur noch ein Drittel so groß abgebildet. Er wirkt weiter weg und das sorgt für eine größere Tiefenwirkung als beim ersten Bild.
Das gilt zwar für alle Brennweiten, aber gerade mit Weitwinkelobjektiven kann man sehr nah an ein Objekt herangehen und es trotz der geringen Entfernung ganz erfassen. Es kommt dann im Vordergrund sehr groß ins Bild, Objekte im Hintergrund wirken sehr klein und die Tiefenwirkung ist sehr ausgeprägt. Genau das wird oft - nicht korrekt aber anschaulich - als steile „Weitwinkelperspektive“ bezeichnet.
Noch mehr "Perspektive"
Noch andere „Perspektiven“ spielen in der Fotografie immer wieder einer Rolle. Da sind zunächst einmal zwei, die diesen Namen tatsächlich verdienen. Es handelt sich um die Vogelperspektive und die Froschperspektive. Schon die Namen zeigen, worum es geht - um Aufnahmen nämlich, die man von einem tiefen oder sehr hohen Standort aus nach oben bzw. nach unten macht. In beiden Fällen kann es von großem Nutzen sein, wenn der Rückwand-Monitor der Kamera als Sucher genutzt werden kann („Live View“), noch mehr, wenn der Monitor sich schwenken und/oder drehen lässt. Die Froschperspektive (gegebenenfalls kombiniert mit der „Weitwinkelperspektive“) kann bei Personenaufnahmen zu sehenswerten Effekten führen. Die Vogelperspektive zwingt nicht unbedingt dazu, aus den oberen Stockwerken eines Hauses zu fotografieren. Der beherzte Sprung auf eine Mauer oder ein paar Schritte eine Böschung hinauf können eine Aufnahme schon eindrucksvoller wirken lassen.
Keine echte Perspektive ist die so genannte „Luftperspektive“. Von ihr spricht man, wenn Landschaftsteile
in großer Entfernung im Dunst verschwimmen und vielleicht sogar das „Verblauen“ einsetzt. Die Luft zwischen Kamera und fernem Motiv sorgt dafür, dass rote Lichtanteile weggefiltert werden und blaue Lichtanteile überwiegen. Aufnahmen im Gebirge zeigen oft eindrucksvoll, wie dieser Effekt mit immer größer werdenden Entfernungen immer stärker wirkt.
Im Zusammenhang mit Brennweiten und Perspektiven müssen auch die „stürzenden Linien“ zu ihrem Recht kommen. Meist spricht man im Zusammenhang mit Architekturbildern von ihnen, aber sie kommen auch in unserem Zaunbeispiel vor. Ist der Zaun ordentlich zusammen genagelt, bilden die oberen und die unteren Enden der Latten zwei
Geraden, die parallel verlaufen. Schaut man nicht im rechten Winkel, sondern seitlich auf den Zaun, scheinen sich die parallelen Geraden einander zu nähern, je weiter die Latten weg sind - „in echt“ und auch im Bild. Das gleiche Bild ergibt sich z. B., wenn man eine Straße entlang schaut. In der Ferne kommen sich die Straßenränder immer näher. Und das passiert auch, wenn man ein Gebäude von unten aufnimmt. Die seitlichen Kanten laufen im Bild in der Ferne (also nach oben hin) aufeinander zu, das Gebäude scheint schmaler zu werden. Das sind die stürzenden Linien.
Wenn man ein Gebäude aus einem geringen Abstand möglichst formatfüllend fotografieren möchte, nutzt man natürlich ein Weitwinkelobjektiv, das man steil nach oben richtet, um viel Gebäude und wenig Vordergrund ins Bild zu bekommen. In dieser Konstellation treten stürzende Linien besonders deutlich hervor - aber sie sind keine Spezialität
von Weitwinkelbildern.
Der Grund für die stürzenden Linien ist immer, dass die Sensorebene und die Ebene, in der die Linien verlaufen, nicht parallel zueinander ausgerichtet sind, sondern einen Winkel bilden. Entsprechend kann man stürzende Linien bei der Aufnahme nur vermeiden, wenn man Objektebene und Sensorebene parallel hält. Das lässt sich bei Architekturaufnahmen erreichen, wenn man einen hohen Standort für die Aufnahme sucht und eine lange Brennweite einsetzt oder ein Shift-Objektiv (bzw. gleich eine verstellbare Fachkamera) nutzt.
Nach der Aufnahme hilft Entzerren gegen stürzende Linien, was im digitalen Zeitalter dank Software-Werkzeugen bequemer ist, als früher beim Vergrößern.
Liebe Grüße
Sylke